Multiple Sklerose - DocCheck Flexikon (2024)

Obwohl eine vollkommene Heilung der MS bis jetzt (2024) noch nicht möglich ist, sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Medikamenten entwickelt worden, die den Verlauf der MS positiv beeinflussen können.[8]

Akuter Schub

In der Therapie des akuten Schubes kommt bei klinisch deutlicher Beeinträchtigung bzw. Behinderung eine Hochdosis-Glukokortikoidtherapie als Mittel der 1. Wahl zum Einsatz. Sie führt zu einer Verkürzung und Milderung des Schubes sowie zu einer verlangsamten Progression der Erkrankung. Bevorzugt wird Methylprednisolon verabreicht, da es eine geringere mineralkortikoide Wirkung, eine hohe Rezeptoraffinität und eine gute Liquorgängigkeit aufweist.

Vor jeder Glukokortkoidtherapie sollten Infekte ausgeschlossen und eine Ulkusprophylaxe durchgeführt werden. Risikopatienten sollten zudem eine Thromboseprophylaxe erhalten.

Die erste Durchführung oder eine Eskalation der Hochdosistherapie sollte stationär erfolgen:Verabreicht werden 500 bis 1.000 mg Methylprednisolon als Kurzinfusion morgens i.v. für drei bis fünf Tage. Seltener wird eine Therapie mit einer täglichen Prednisondosis von 1.250 mg p.o. angewandt. Unter der Therapie ist auf regelmäßige Elektrolyt- und Blutzuckerkontrollen zu achten. Nach Beendigung der Therapie muss das Kortikosteroid langsam ausgeschlichen werden.

Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.

Bei persistierender Symptomatik kann im Einzelfall die Dauer der Therapie auf zehn Tage verlängert oder zwei Wochen nach Ende der Therapie ein Versuch mit einer erhöhten Dosis unternommen werden.

Als Therapie der 2. Wahl kommt die Plasmapherese oder Immunadsorption zum Einsatz.

Beachte: Nicht jeder leichte Schub ist behandlungsbedürftig!

Verlaufsmodifizierende Therapie

Die verlaufs- oder krankheitsmodifizierende Therapie erfolgt mit Immunmodulatoren und Immunsuppressiva als Monotherapie. Eine Kombinationstherapie erfolgt lediglich bei einer zusätzlichen Schubtherapie mit Glukokortikoiden. Ziel ist eine Verminderung vom Schubfrequenz und Krankheitsprogression sowie ein Rückgang der klinisch und kernspintomografisch messbaren Krankheitsaktivität. Die Auswahl der Medikamente erfolgt individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmt und unterscheidet sich je nach Verlaufsform und Aktivität der Erkrankung. Bei vielen der Therapiemöglichkeiten sind Zusatzuntersuchungen notwendig.

Milde/Moderate Verlaufsform(Hoch)aktive Verlaufsform
Klinisch isoliertes Syndrom (KIS)Glatirameracetat s.c.
IFN-β 1a i.m./s.c.
IFN-β 1b s.c.
Schubförmig remittierende MS (RRMS)Dimethylfumarat p.o.
Glatirameracetat s.c.
IFN-β 1a i.m./s.c.
IFN-β 1b s.c.
PEG-IFN-β 1a s.c.
Teriflunomid p.o.
Ozanimod p.o.
Ponesimod p.o.
Diroximelfumarat p.o.
Azathioprin p.o. (2. Wahl)
Immunglobuline i.v. (IVIG) (2. Wahl)
Cladribin p.o.
Fingolimod p.o.
Natalizumab i.v.
Ocrelizumab i.v.
Ozanimod p.o.
Ofatumumab s.c.
Mitoxantron i.v. (2. Wahl)
Alemtuzumab i.v. (2. Wahl)
Sekundär chronisch progrediente MS (SPMS)Mit aufgesetzten Schüben: IFN-β 1a/b s.c., Mitoxantron i.v., Siponimod p.o., Cyclophosphamid i.v. (2. Wahl)
Ohne aufgesetzte Schübe: Mitoxantron i.v., Cyclophosphamid i.v. (2. Wahl)
Primär chronisch progrediente MS (PPMS)Ocrelizumab i.v.

Der monoklonale Antikörper Daclizumab wurde 2018 wegen des Verdachts schwerer unerwünschter Effekte vom Markt genommen und ist daher keine Therapieoption mehr.

Kommt es zu keiner Besserung unter einer immunmodulierenden Behandlung, kann alternativ ein Versuch mit einer monatlichen intravenösen Immunglobulingabe erfolgen.

Nebenwirkungen

Neben den spezifischen Nebenwirkungen der jeweiligen Medikamente ist das erhöhte Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie unter Behandlung mit Natalizumab, Fingolimod und Dimethylfumarat zu beachten. Bei Einnahme eines dieser Wirkstoffe sollte unbedingt ein Neurologe mit entsprechender Spezialisierung hinzugezogen werden. Um das Risiko einer PML möglichst gering zu halten, sind vor Beginn der Therapie und therapiebegleitend Antikörperkontrollen des auslösenden JC-Virus indiziert. Kommt es in Rahmen der Behandlung zu neurologischen Auffälligkeiten wie Aphasien, Ataxien, Hemianopsien oder psychischen Veränderungen, die auf eine PML hindeuten, sollte sofort eine Kontroll-MRT sowie eine Lumbalpunktion zum Ausschluss einer JC-Virus-Infektion erfolgen.

Schwangerschaft

Für MS-Patientinnen ergaben sich während der Schwangerschaft und bis 24 Monate danach im Krankheitsverlauf keine Unterschiede, die auf spezifische Behandlungen zurückgeführt werden konnten. Interferone, Glatirameracetat oder Natalizumab erhöhten das Risiko für Spontanaborte, Frühgeburten oder angeborene Fehlbildungen nicht.[9][10] Wirkstoffe mit bekannter Teratogenität (Fingolimod, Teriflunomid) sollten nicht eingesetzt werden. Bei Cladribin, Alemtuzumab und Ocrelizumab müssen die empfohlenen Absetzzeiten eingehalten werden.[11]

Stillzeit

In einer klinischen Studie wurde die Entwicklung von Säuglingen während der ersten 36 Lebensmonate untersucht, deren Mütter während der Stillzeit mit monoklonalen Antikörpern (Natalizumab, Ocrelizumab, Rituximab und Ofatumumab) behandelt wurden. In Bezug auf die Gewichtsentwicklung der Kinder, ihre allgemeine Entwicklung sowie jährlich notwendige Krankenhausaufenthalte oder eine systemische Antibiotikatherapie wurden keine negativen Auswirkungen festgestellt.[12] Der Einsatz von Interferon beta und Glatirameracetat in der Stillzeit wird als sicher betrachtet.[13][14] Teriflunomid und Fingolimod werden in der Stillzeit nicht empfohlen.[11]

Symptomatische Therapie

Neben der medikamentösen Therapie können folgende Anwendungen durchgeführt werden, um die Symptome günstig zu beeinflussen:

  • Physiotherapie
  • Medikamentöse symptomatische Therapie
    • Antispastische Therapie: Baclofen, Tizanidin, Cannabinoide, Botulinumtoxin A
    • Verbesserung der Gehfähigkeit: Fampridin/4-Aminopyridin
    • Schmerzen: Gabapentin/Pregabalin, TCA, Antikonvulsiva, Opioide
    • Psychische Symptome: Antidepressiva
    • Müdigkeit: Amantadin, Modafinil, Armodafinil, Amphetamine
    • Vitamin D (vermindert die Krankheitsprogression und das Osteoporoserisiko)
  • Ergotherapie
  • Logopädie
  • Ausdauer-/Bewegungstraining
  • Psychotherapie
  • Hilfsmittelversorgung

Experimentelle Therapie

In klinischen Studien der Phase III werden zur Zeit (2023) Tyrosinkinasehemmer aus der Klasse der BTK-Inhibitoren auf ihre Wirksamkeit bei MS überprüft. Dazu zählen die Wirkstoffe Evobrutinib und Tolebrutinib.

Neuere Studien zeigen, dass der Einsatz autologer oder allogener zytotoxischer T-Zellen, die sich gegen EBV richten, signifikante klinische Resultate erzielt. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre erstmals eine Kausaltherapie der MS möglich.

Zudem gibt es erste Hinweise, dass Statine - bislang als Cholesterinsenker verwendet - die Anzahl der Krankheitsschübe deutlich reduzieren könnten.

Alternativmedizin

Für die Wirksamkeit von Ultrahochdosen von Vitamin D3 ("Coimbra-Protokoll") gibt es keine wissenschaftlliche Evidenz.[15] Klinische Studien, welche die Wirksamkeit und insbesondere die Sicherheit von hochdosiertem Vitamin D3 bei Multipler Sklerose belegen, liegen nicht vor (Stand 2023). Bei unkontrollierter Anwendung in hoher Dosierung (> 4.000 IE/d) entwickelt sich eine Vitamin-D-Hypervitaminose mit Hyperkalziämie, die in ein Nierenversagen als Folge einer Nephrokalzinose münden kann. Aufgrund der langen Halbwertszeit von Vitamin D (> 3 Wochen) können die Nebenwirkungen auch nach dem Absetzen persistieren.[16]

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